September 2015
Diese Tour führte mich über Ungarn – Bulgarien – Griechenland – Santorini – in die Türkei nach Bodrum und quer durch Zentralanatolien nach Istanbul. Von dort aus über Bulgarien und Rumänien zurück. Es war eine Tour entgegen der Flüchtlingsroute. Überall traf ich sie unterwegs, die Gestrandeten auf dem Weg in den goldenen Westen, auf der Flucht vor Putins Bombenterror in Syrien.
Von Berlin aus nahm ich den Eurocity nach Usti nad Labem und weiter mit dem Nachtzug nach Nove Zamky. Von dort aus sind es etwa 4km zu Fuß an die Donaubrücke und noch einen weiteren is ungarische Esztergom, wo es erstmal leckeres Gulasch gab. Die Stadt ist durchaus sehenswert. Mit Bus, Fähre und Bahn erreichte ich Budapest. Das Umfeld des Bahnhofes Keleti glich in diesen Tagen einem improvisierten Zeltlager. Der rechtspopulistische Regierungschef Viktor Orban hatte sich geweigert, die Flüchtlinge aus Syrien in Ungarn zu registrieren und so fungierte der Bahnhof Keleti zu dieser Zeit als provisorisches Auffanglager für die hier, inmitten einer Hauptstadt der Europäischen Union Gestrandeten.
Der Rest ist bekannt: Angela Merkel hatte sich gegen ihre bräsige eigene Partei durchgesetzt und die Weiterreise der Geflüchteten nach Deutschland ermöglicht. „Wir schaffen das!“ Und das beste: wir haben es tatsächlich geschafft und damit sämtlichen Pegidioten und allen anderen Schlechtmenschen gezeigt, was Humanismus ist und dass die Hasspropanda von rechts hierzulande nichts verloren hat!
Von Budapest aus gab es kurzzeitig einen Kurswagen über die neue Donaubrücke bei Vidin bis nach Sofia, Bulgarien. Leider wurde keine Anschlussstrecke von der Brücke in Richtung Drobeta Turnu Severin gebaut, so dass die Strecke einen Riesenumweg über Craiova macht, wodurch die Fahrzeit nicht konkurrenzfähig ist. Den Wagen hatte ich daher auch so gut wie für mich alleine. Kurze Zeit später wurde der Kurswagen wieder eingestellt. In Mestra verließ ich den Zug und besuchte noch die Iskar-Schlucht mit einem sehenswerten Kloster und erreichte am späten Abend Sofia, wo ich auf Empfehlung eines Kumpels ein tolles Hostel bezog: Ein älteres Gebäude im osmanischen Stil in einem Hinterhof. Abends noch eine kurze Kneipentour und am Folgetag für einige Stunden die Innenstadt erkunden. Sofia hat kein mittelalterliches Zentrum – groß wurde die Stadt erst im 19. Jh – aber es es gibt eine schöne Markthalle, eine Moschee aus osmanischen Zeiten, eine monumentale Synagoge, ein altes Thermalbad und einige weitere nette Straßen und Plätze. Man muss hier keinen Urlaub machen, aber für ein bis zwei Tage kann man hier durchaus bleiben.
Von Sofia aus kann man per Bahn in Richtung griechische Grenze gelangen. Die Fahrt dauert allerdings lange und die Züge fahren selten und so lohnt es sich eher, den Bus zu nehmen, zumal mein Tagesziel, der wunderbare Weinort Melnik ohnehin nicht mit dem Zug erreichbar ist. Im erstbesten Privatquartier kam ich unter und hatte anderthalb Tage Zeit, den Ort und die Umgebung zu erkunden. Melnik liegt in tief eingschnittenen Lößschluchten, kleine Balkanhäuser prägen das Ortsbild, einige mittelalterliche Ruinen finden sich allenthalben. Von den umliegenden Bergen gibt es wunderbare Ausblicke und die Hügelspitzen bestehen oftmals einfach nur aus Sandpyramiden. Überall lockt der schwere, fruchtige Rotwein und die herzhafte Balkanküche. Wirklich ein wunderbarer Ort, wenngleich das Wanderwegenetz besser ausgebaut sein könnte.
Vom nahegelegenen Sandanski aus gibt es eine Bahnverbindung nach Thessaloniki. Hier hatte ich mir ein billiges Zimmer in einem heruntergekommenen, altertümlichen Hotel gebucht. Thessaloniki ist die zweitgrößte Stadt von Griechenland und war bis zum Beginn des 20. Jh. stark osmanisch geprägt. Vieles im Stadtbild erinnert noch daran. Insbesondere der untere Teil der Stadt wurde gegen Ende 19. Jh neu bebaut, es gibt einiges an Jugendstil, ein uriges Marktviertel und schöne Cafés und Kneipen. Der griechische Betonstil der 60er Jahr ist allerdings auch reichlich vertreten. Vom Zentrum aus führen steile Gassen hoch zur Burg, von der noch einige Umfassungsmauern erhalten sind. Leider hatte ich ich nur einen halben Tag Zeit.
Von hier aus geht es durch wunderbare Gebirgslandschaften nach Athen, das ich am späten Abend erreichte. Hier blieb ich zwei Nächte und erkundete die Innenstadt, die Plaka die Akropolis und bestieg den Lykavitoshügel. Auch hier war alles vor mit gestrandeten Flüchtlingen. Abends gab es noch eine Wahlkundgebung von Alexis Tsipras, dem damaligen Regierungschef, rückblickend einer der ganz großen Glücksfälle für Europa. Athen hat mich schwer beeindruckt und es war auch nicht das letzte Mal, dass ich dort war.
Sehr früh am Morgen fuhr das Schiff von Piräus, das mit der Metro zu erreichen ist, in Richtung Santorini. Unterwegs werden unzählige andere Inseln passiert und das Schiff stoppt auf Paros und Naxos. Sowohl die Blue Star Ferry als auch die Anek Superfast verfügt über großartige Schiffe, mit Cafés, Sonnendeck und Pool. Die Sofas in den Cafés bieten sich wunderbar an zum Schlafen, denn die Kabinen bei den griechischen Schiffen sind teuer. Gegen Mittag erreichte ich den Hafen von Fira in dem ehemaligen Vulkankrater von Santorini.
Das Fira Backpackers ist eines der besten Hostels ever und absolut zu empfehlen. Die Stadt ist sehr touristisch und nervige Souvenirshops bestimmen die Straßen. Die Stadt selbst ist großartig: weiße Häuser und Kirchen mit blauen Kuppeln vor schwarzen Vulkanfelsen. Überall kann man Mofas ausleihen. Fahrräder sind eher schwierig zu bekommen, aber am Ende finde ich mein Mountainbike, mit dem ich eine runde Runde über die Nordspitze der Insel mache. Vor allem das Dorf Oia lohnt sich.
Von Santorini aus gibt es eine Nachtfähre nach Kos, von wo aus Touristendampfer nach Bodrum in der Türkei fahren. Ein Pärchen aus Australien hatte dasselbe Ziel, so dass wir zusammen fuhren und auch dasselbe Hostel in Bodrum bezogen. In Kos schlafen die Gestrandeten, die die illegale Überfahrt von der Türkei aus geschafft hatten am Fuß der Festung. Allein in Berlin sind mir zwei Syrer bekannt, die auf diesem Wege Europa erreichten. Kos wirkt schon recht osmanisch, aber ganz klar noch EU. Das Flair in Bodrum ist ein völlig anderes. Es ist zwar eine Hochburg der Kemalisten und überall gibt es Bier, weshalb die Stadt auch eine Touristenhochburg ist, aber mit Griechenland nicht zu vergleichen. Hektischer, lauter, weniger entspannt. Das Hostel ist ebenfalls eine Party-Location mit lauter Dance-Musik bis spät in die Nacht. Hier überachtet auch ein Iraner, der mit Tourenrad die Türkei bereist. Mit großem Gepäck incl. Solarkocher. Toller Typ! Auch er träumt davon, so bald wie möglich in die USA auszuwandern. Und der Amerikaner im Hostel hatte ebenfalls persische Wurzeln. Lustiger Zufall!
Von dort aus ging es bei strömendem Regen über Kusadasi mit dem Bus nach Selcuk, wo die römischen Ausgrabungen von Efesus bewundert werden können. Die allgegenwärtige Biermarke Efes hat ihren Namen übrigens von dort. Während Bodrum nach einen leicht griechischen Einfluss zeigt, sind Kusadasi und Selcuk klar osmanische Städte. In Selcuk beziehe ich eine Pension mit Hostelzimmer, gewöhnungsbedürftig aber billig. Die wirklich grandiosen Ausgrabungen mit Stadttoren, gut erkennbaren Straßen und Amphittheatern sind etwa zwei Kilometer vom Ort entfernt. Die Stadt Selcuk hat zwar eine Burg, einige Gassen und Moscheen, ist aber letztlich unspektakulär.
Mit dem Zug geht es von hier aus weiter Richtung Osten, nach Denizli. Die Bahn in der Türkei ist billig und modern, aber es fahren kaum Züge, so dass der Bus das Hauptverkehrsmittel ist. Denizli ist der Ausgangspunkt zum Besuch von Pamukkale mit seinen weltberühmten Sinterterassen, das etwas 20km entfernt ist . Eine stark kalkhaltige Quelle fällt hier eine Geländestufe hinab und bildet die berühmte Kalkschicht, die von weitem fast wie Schnee aussieht. In natürlichen Becken konnte man bis vor wenigen Jahren baden. Inzwischen sind die meisten Becken gesperrt. Nur noch entlang des Hauptweges darf man sich barfuß (!) bewegen. An der Hangkante gab es bis vor einigen Jahren mehrere Hotelanlagen. Diese alle sind mittlerweile abgerissen worden. Mit einigem Spaß beobachte ich das internationale Badevergnügen: Orientalisch, asiatisch, russisch (wobei letzteres das optisch ansprechendste war). Es gilt: je höher man kommt, sprich: ja näher an der Quelle um so wärmer das Wasser. Etwas zurückversetzt sind auch hier römische Ausgrabungen finden. Ebenfalls hervorragend erhalten, aber weniger touristisch als Efesus.
Leider ist heute Bayram, so dass kaum Busse fahren, weshalb ich den Zug von Denizli nach Afion verpasse. Also: wieder weiter mit dem Bus. Die türkischen Busbahnhöfe sind gewöhnungsbedürftig. Anders als in der Ukraine, in Polen oder Griechenland gibt es hier keine zentrale Kasse, sondern jede Busgesellschaft vertreibt ihre Tickets selbst und man macht sich reichlich gegenseitig Konkurrenz. Backpacker werden schon am Eingang zum Busbahnhof abgefangen. Dafür sind die Busbahnhöfe blitzblank und super modern. Afion ist international noch wenig bekannt, eindeutig zu Unrecht: eine orientalische Altstadt mit Marktviertel in dem die legendäre türkische Knoblauchsalamie Sucuk noch handwerklich produziert wird. Der Ort – immerhin rund 150000 Einwohner – wird überagt von einem 200 hohen Felsen mit Burgruine. In jüngster Zeit wurden hier einige Thermalquellen entdeckt, so dass der Ort möglicherweise bald zu einem Touristenzentrum wird. Nachteil: die Region ist fest in Händen der AKP, Bier in den Cafés und Kneipen sucht man vergeblich.
Mit dem Zug geht es mit einem 3-stündigem Stop in Kütahya nach Eskisehir, eine Stadt von fast 900000 Einwohnern, modern, kemalistisch, weltoffen mit einer modernen Straßenbahn. Es gibt ein schönes Marktviertel, ein historisches Thermalbad im Zentrum (das ich selbstverständlich ansteuere) und eine restaurierte Altstadt. Hier, völlig überraschend auch ein Museum für die Kultur der Krimtataren. Von hier aus nach Istanbul zu kommen war nicht einfach. Bayram war zu Ende und sowohl der Zug als auch die meisten Busse waren ausgebucht.
Dennoch erreichte ich am selben Abend noch Istanbul, wo ich einem großartigen Hostel in Kadiköy auf der asiatischen Seite unterkam. Das Hostel liegt nahe des einstigen Bahnhofes Haydarpasa von wo aus es noch vor wenigen Jahren Kurswägen nach Teheran und Aleppo gab. Einige Kneipen liegen in unmittelbarer Umgebung. Leider war das Wetter in den folgenden Tagen gar nicht schön, so dass die Bilder alle etwas grau sind. Das Stadtviertel Sultan Achmet, Blaue Moschee, Hagia Sophia, der große Basar und viele kleine Karawansereien, der Galaterturm, Istiklal, Taksim: ich besuche alles, was in zwei Tagen zu machen ist. Istanbul ist eine wunderbare Stadt. Aber mit das schönste sind die Schiffahrten von der asiatischen auf die europäische Seite. Der Aufenthalt endet mit dem Treffen mit einem Bekannten aus dem Umfeld der Eisenbahnfreunde des DSO-Netzwerkes, der damals in Istanbul lebte. Er fuhr mich dann 150km (!!) mit seinem Dienstwagen nach Kapikule an der bulgarischen Grenze.
Nun bin ich also wieder in der EU, wobei Teile von Bulgarien eher an die dritte Welt erinnern, im Gegensatz zu der absolut modern wirkenden Türkei. Über Russe erreiche ich Bukarest, wo ich noch einmal übernachtete. Seit meinem letztem Besuch ist die Altstadt nochmal schwer herausgeputzt worden, für die riesigen Freiflächen infolge des barbarischen Stadtumbaues von Ceausescu in den 80er Jahren gibt es nach wie vor kein Konzept. Die Innenstadt ist geprägt vom Pariser Stil – als romanischsprachliges Land blickte man im 19. Jh. nach Westen, doch auch Art Deco und Bauhaus ist reichlich zu finden.
Die letzte Etappe stand an: eine wunderschöne Fahrt durch die Karpaten nach Sibiu, das ich im Dunkeln erreichte. Hier ebenfalls in schönes Hostel in der Altstadt, eine Kneipe mit Livemusik und in aller Hergottsfrühe wieder ging es wieder zum Bahnhof. Überall wurde in dieser Zeit in Rumänen gebaut, so dass die Fahrt eine halbe Ewigkeit dauerte. Im Erlebnis inbegriffen war noch ein ungarischer Arschlochschaffner, der an meinem Ticket etwas auszusetzen hatte und sich ein Zubrot verdienen wollte. Leider nicht das erste derartige Erlebnis in Ungarn. In jedem Fall: ich erreichte pünktlich Budapest von wo aus der Metropol nach Berlin fuhr.