Ein Plädoyer für den Erhalt des personenbedienten Fahrscheinverkaufs

Ein Plädoyer zum Erhalt des personenbedienten Fahrscheinverkaufs

Der Autor dieser Zeilen ist Gründer und heutiger Mitinhaber eines auf internationale Bahnreisen spezialisierten Reisebüros.

https://bahnagentur-schoeneberg.de/

Der Gründung dieses Büros im Januar 2007 ging das Ziel, sich mit einer grünen Idee selbständig zu machen, voraus. Damals wie heute bin ich der Überzeugung, dass die Attraktivität der Schiene vor allem durch kompetente Beratung und individuelle Recherche nach den besten Preisen und Verbindungen gesteigert werden kann. Diesem Credo sind wir bis heute treu geblieben, weshalb wir in laufenden Jahr – bei mittlerweile drei Mitarbeitern – einen DB-Umsatz in 7-stelliger Höhe.

Seit Jahren ist es Teil von politischen Sonntagsreden, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Leider wird die Vertriebspolitik von DB Fernverkehr diesem Ziel nicht gerecht.

DB-Fernverkehr handelt oftmals unter reinen Managementgesichtspunkten und ohne wirkliche emotionale Bindung zum Schienenverkehr, was sich daran bermerkbar macht, dass das Denken von Effizienz und Kostensenkung überproportional ausgeprägt ist. Ein gemeinwohlorientierter Servicegedanke kommt leider oftmals zu kurz.

Im Vordergrund stehen: Kostensenkung durch Personal- und Serviceabbau, sowie kurzfristige Ertragssteigerungen ohne jede Nachhaltigkeit, bei denen letztlich die treuesten Kunden vor den Kopf gestoßen werden. Durch die Folgen der Kostensenkungspolitik und damit auch verbunden der Investitionsstau in Infrastruktur und Technik ist mittlerweile ein funktionierender Bahnbetrieb kaum noch möglich. Das Berliner S-Bahn-Desaster von 2009 – 10 war in diesem Zusammenhang nur ein Vorbote. Ausfallende Züge, nicht funktionierende, verschmutzte Toiletten, apokalyptische Szenen infolge fallender Blätter im Herbst und Schneeflocken im Winter sind ebenfalls die Folge eines übermäßigen Personalabbaus, während überflüssige und überteuerte Prestigeprojekte wie Stuttgart 21 weiterhin vorangetrieben werden.

Auch die Produkt- und Preispolitik gibt einigen Anlass zu Kritik

Beispiel 1:

Im Sommer 2018 erfolgte die Einführung einer neuen Preisart, des Supersparpreises. Die Ticketpreise sind dabei exakt identisch mit den alten Sparpreisen, jedoch mit erheblichen Angebotseinschränkungen: keine Stornierbarkeit, kein Loungezugang, keine Cityoption.

Die bisherigen Sparpreise enthalten diese Leistungen zwar noch, sind jedoch deutlich teurer geworden, eine Auszahlung stornierter Tickets erfolgt nur noch in Form von Gutscheinen. Ein durchsichtiges Manöver zur Ertragssicherung, ohne Berücksichtigung von Kundeninteressen. Faktisch handelt es sich hierbei eine verdeckte Preiserhöhung, die von Verbraucherschutz- und Kartellbehörden dringend unter die Lupe genommen werden sollte, zumal die Auszahlung in Form von Gutscheinen nur noch im Kleingedruckten kommuniziert wird.

Beispiel 2:

Vollmundig wurde unter dem Namen PIA eine Neuorganisation für die Buchung internationaler Streckenfahrscheine angekündigt, Bis dahin waren die Erstellung nicht Fahrplan-basierter Streckenfahrscheine im Ausland zwar kompliziert, aber mit einigem Know-How nahezu ohne Einschränkung möglich. Unter dem Deckmantel einer Vereinfachung wurde das System bis zur Funktionsunfähigkeit eingeschränkt. So war es etwa zur Zeit der Fußball EM 2016 in Frankreich nicht möglich, Fahrscheine von Brüssel Flughafen nach Lille zu erstellen. Ob eine Fahrscheinerstellung überhaupt möglich ist, hängt letztlich davon ab, ob die europäischen Bahnen korrekt und rechtzeitig Fahrplandaten liefern, was leider nicht immer erfolgt. Gäbe es noch die Möglichkeit einer nicht-Fahrplan-basierten Fahrscheinerstellung würde sich dieses Problem nicht stellen.

Beispiel 3:

Viele europäische Bahnen setzen mittlerweile auf Globalpreise, also: Punkt-zu-Punkt-Verbindungen mit reservierten Sitzplätzen. Mittels Reservierungscodes könnten theoretisch alle Normal- und Sonderangebote im Ausland gebucht werden. Leider geben nur wenige ausländische Bahnen die jeweiligen Angebote an die europäischen Partnerbahnen weiter. Zur Zeit sind dies: Schweden, Finnland, Russland, sowie einige internationale Nachtzugverbindungen. Hier funktioniert die Buchung problemlos. Die technische Machbarkeit ist also gegeben. Dass etwa Spanien, Frankreich oder Italien das nicht tun, liegt also ausschließlich am fehlenden politischen Willen. Eine Form von europäischer Kleinstaaterei, die nicht mehr zeitgemäß ist.

Beispiel 4:

Aufgrund angeblicher mangelnder Wirtschaftlichkeit wurden Ende 2016 alle Nachtzugverbindungen seitens der DB gestrichen. Einige Verbindungen wurden von der ÖBB übernommen und das Angebot seitdem kontinuierlich verbessert und ausgebaut. Man schreibt schwarze Zahlen und das Angebot wird gut angenommen. Es ist also davon auszugehen, dass die Nachtzüge von DB-Fernverkehr bewusst schlecht gerechnet wurden.

Die angesprochene Kostensenkungspolitik wirkt sich auch unmittelbar auf uns Agenturen aus.

Dabei geht es nicht nur um das Damoklesschwert von ab 2020 erneut drohenden Provisionskürzungen. Generell ist eine massive Bevorzugung des Onlinevertriebes zu beobachten, die uns unsere Arbeit mehr und mehr erschwert.

Die Buchungssysteme für den personenbedienten Verkauf werden kaum noch gepflegt, eine graphische Reservierungsübersicht steht uns nicht zur Verfügung, der Interrail Globalpass für vier Tage ist nur online erhältlich. Hinzu kommen Lidl-, Nutella-, Duplo-, etc. Aktionen, die komplett am personenbedienten Verkauf vorbeigehen, aber auch keinen Service bieten. Im Grunde finden hier bewusste Marktmanipulationen statt, die auch unter rechtlichen Aspekten unter die Lupe genommen werden sollten.

Zu Kritisieren ist zudem die Fixierung auf Flugreisende bei der Neukundengewinnung. Dies ist realitätsfremd, denn nicht der flugreisende Pauschalurlauber ist der Hauptkonkurrent der Bahn, sondern der flexiblitätsverwöhnte Autofahrer. Immer noch beträgt Kfz-Anteil im Modalsplit noch rund 80%. Hier liegt also das Potenzial für Zuwächse beim Schienenverkehr. Ein Potenzial, das bislang sträflich vernachlässigt wird.

Vor dem Hintergrund schließender Reisezentren und Agenturen kann man in diesem Zusammenhang mittlerweile von einer „Zwangsdigitalisierung“ zu Lasten des Kunden und damit zu Lasten der Attraktivität des Schienenverkehrs insgesamt, sprechen. Denn in einem hochkomplexen System wie dem internationalen Schienenverkehr sind Kenntnisse der Verkehrsgeographie und ausgefeilte Tarifkenntnisse, die der gewöhnliche Onlinekunde überhaupt nicht haben kann, unumgänglich. Auch unter sozialen Aspekten ist eine solche Vertriebspolitik ein Desaster. Denn letztlich sind die Leidtragenden einer solchen Politik ältere Menschen oder Geringverdiener, die nicht Besitz einer Kreditkarte sind.

Warum ist der personenbediente Verkauf nötig?

  • Kein Onlinekunde kann auch nur ansatzweise über die Strecken- und Tarifkenntnisse verfügen, wie sie gut geschulte Mitarbeiter von Agenturen haben. Hinzu kommen geographische Kenntnisse, durch die unverzichtbare Reisetipps möglich sind.
  • Aufgrund der fehlenden Buchbarkeit vieler internationaler Angebote, würden viele unserer Kunden über kurz oder lang beim Billigflieger landen, obwohl wir nahezu für alle Destinationen innerhalb Europas Angebote erstellen können.
  • Selbst wenn die Buchung von Einzeltickets oftmals teurer ist, als der Flieger, der Interrailticket bietet oftmals Möglichkeiten, die vielen Menschen nicht bekannt sind.
  • Im Gegensatz zum Onlinevertrieb können geschulte Verkäufer die Wünsche und Bedürfnisse durch gezielte Fragen ermitteln und so ein individuelles Angebot erstellen. So wird ein 25-jähriger Backpacker sicherlich ein geringeres Problem damit haben 7x umzusteigen, als eine Rentnerin, der man eher eine Direktverbindung, ggf. in der 1. Klasse anbietet.
  • Immer wieder treten in den DB-Buchungssystemen Programmierfehler auf, gegenüber denen der Onlinekunde hilflos ist, wir jedoch zumeist Lösungen finden.
  • Reisebüros haben gleichbleibend seit Jahren die höchsten Kundenzufriedenheitsraten und trotz des massiven Rückganges der Agenturzahlen um rund 30% ist die Quote des Agenturanteils im Gesamtumsatz der DB nahezu gleich geblieben. Das bedeutet, dass Agenturenkunden diesem Vertriebsweg im allgemeinen treu bleiben. Diese wären also bei einem endgültigen Aus des Agenturvertriebes für die Bahn verloren.
  • Von immer mehr Menschen wird die Onlinekommunikation, durch die Exzesse von Fakenews und Hasspropaganda in den sozialen Medien mittlerweile weniger euphorisch gesehen, als noch vor wenigen Jahren. Ein massiver Zuwachs gerade an jüngeren Kunden – wohl auch eine direkte Folge von „Fridays for Future“ war im Jahr 2019 zu beobachten.

Politische Forderungen

  • Alle online verfügbaren Angebote müssen auch Agenturen und Reisezentren zur Verfügung gestellt werden.
  • Mitarbeiter in Reisezentren müssen adäquat geschult werden, um komplexe Reiseberatungen durchführen zu können.
  • Im DB-Binnenverkehr sind die Grundpreise, wie auch die Preise für die Bahncard 50 im großen Stil zu senken und ein großzügiger Mitfahrerrabatt zu gewähren.
  • Eine exklusiv dem personenbedienten Verkauf zur Verfügung stehende Buchungsplattform für internationale Verbindungen muss entwickelt werden. Jedes innerhalb der EU tätige EVU muss gesetzlich verpflichtet werden, alle im Binnenverkehr erhältliche Sparangebote auch international zur Verfügung zu stellen. Einige Globalpreisländer, wie Schweden, Finnland oder auch Russland tun das bereits freiwillig. Dies zeigt, dass dies technisch möglich ist. Italien oder Spanien bieten lediglich Normal- oder allenfalls geringfügig ermäßigte Preise an, Frankreich ist aus dem europäischen Reservierungssystem EPA jüngst komplett ausgestiegen.
  • Auch die hierzulande erhältlichen Flexpreise einiger osteuropäischer Länder, wie Polen oder Tschechien sollten sich von Gesetzes wegen an den tatsächlichen Preisen vor Ort orientieren. Die völlig überhöhten TCV Preise dieser Länder sind in Zeiten eines vereinigten Europas ein inakzeptabler Anachronismus.
  • Agenturen ist eine auskömmliche Provision, ergänzt um eine Servicezulage für Tätigkeiten, die bislang überhaupt nicht vergütet werden, wie z.B. die Anrechnung von Gutscheinen, Verbindungsauskünfte, Anmeldungen von Hilfeleistungen und Erstattungen von Verspätungsgutscheinen, zu gewähren. Da durch die oben erwähnte Stärkung des Onlinevertriebes die Vertriebskosten in den letzten Jahren massiv gesenkt werde konnte, dürfte für eine Förderung des personenbedienten Verkaufs der nötige finanzielle Spielraum bestehen.

Hierzu ist es nötig, den politischen Diskurs in die entsprechende Richtung zu lenken. Erfolgversprechend ist, dass die wirtschaftsliberalen Ideologien: Konstensenkung und Sparen mittlerweile kritischer gesehen werden, als noch vor wenigen Jahren.

Wer den Schienenverkehr stärken will, muss den personenbedienten Verkauf stärken.

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