Einspruch: Lieber Götz Aly, der Umgang mit Putin ist richtig und angemessen

In Ihrer Kolumne in der Berliner Zeitung schreiben Sie am 21.04.2020 über eine beleidigende deutsche Ignoranz gegenüber Russsland. Als Beispiele führen Sie an: die Nicht-Einladung von Putin zu den Feierlichkeiten in der Normandie im Sommer 2019 oder dessen Ausladung zu den Befreiungsfeierlichkeiten im Januar 2020 in Auschwitz. Ein solcher Umgang mag Russland kränken, aber dieser Umgang erfolgt nicht ohne Grund.

Ein solcher Umgang erfolgt gegenüber Staatschefs, die friedliche Nachbarn aus imperialistischen Motiven heraus angreifen, ein solcher Umgang erfolgt gegenüber Staatschefs, die in Syrien Krankenhäuser und Märkte bombardieren lassen, ein solcher Umgang erfolgt gegenüber Staatschefs, die nachgewiesenermaßen zivile Passagierflugzeuge über fremden Territorien abschießen und – als sei das nicht genug – versuchen, anderen dieses Verbrechen anzuhängen. Ein solcher Umgang erfolgt gegenüber Staatschefs, die sich in Wahlen und Referenden fremder Staaten einmischen, die Hackerkommandos auf nationale Parlamente loslassen und deren Geheimdienste heimtückische Morde in ganz Europa verüben. Ein solches Verhalten führt in der Tat dazu, von der der internationalen Gemeinschaft an den Katzentisch verbannt zu werden. Zu Recht!

Das Gedenken an den Sieg über Nazideutschland muss natürlich gebührend begangen werden. Dieser Tag ist die Grundlage unserer modernen Zivilisation in Europa. Aber es sollte von Menschen begangen werden, die verstanden haben, warum dieser Tag gefeiert wird. Die alljährlichen Panzerparaden mit viel Pathos und Tschingdarassabum, wie sie von je her in Moskau stattfinden, wecken Zweifel, ob man das in Russland wirklich verstanden hat.

Denn Weltkriegsgedenken kann nur unter dem Motto stehen: „Nie wieder!“ Nie wieder Faschismus, nie wieder Stalinismus, nie wieder Imperialismus, nie wieder Krieg! Die oben angeführte Politik Vladimir Putins zeigt, dass vor allem die letzten drei Punkte von ihm geflissentlich ignoriert werden. Ebenso ignoriert, wie die Tatsache, dass der 2. Weltkrieg nicht im Jahre 1941 sondern bereits im Jahre 1939 begonnen hatte. Mit dem deutschen Überfall auf Polen, aber auch mit den sowjetischen Überfällen auf Ostpolen, das Baltikum und Finnland.

Die Ukraine, wo man im Weltkriegsgedenken mittlerweile andere Wege geht, stellt das komplette Gegenbeispiel dar. Hier wird ebenfalls der Roten Armee gedacht, dies jedoch in einem völlig anderem Kontext und unter dem Slogan. „Ніколі знову – nie wieder“, vor dem Hintergrund einer stilisierten Mohnblume, statt dem quasi-faschistischen Symbol des Georgsbandes. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an eine rührende Begegnung mit einem älteren Mann während einer meiner vielen Reisen in die Ukraine, der mir erzählte, seinen Militärdienst irgendwo in „Wjunsdorf“ oder „Fjurstenwalde“ gemacht zu haben. Solche Begegnungen sind nun nichts Außergewöhnliches, wohl aber dessen Nachsatz: „Entschuldigung, wir waren Okkupanten“

Ja, es mag verstörend wirkend, wenn plakativ herausgestellt wird, dass es die 1. ukrainische Front war, die Auschwitz befreit hat. Natürlich ist es eine historische Vereinfachung, zu implizieren, es habe sich dabei um eine ukrainische Armee gehandelt. Aber dies ehrt ein europäisches Volk, das – gemessen an der Gesamtbevölkerung – die meisten Blutopfer im 2. Weltkrieg zu bringen hatte und das seit der Revolution der Würde im Winter 2014 damit begonnen hat, seine Geschichtschreibung völlig neu zu definieren. Ein Punkt, der nicht hoch genug bewertet werden kann.

Es liegt an Putin, von der Ukraine zu lernen und künftig eine Politik zu vollführen, die sich an Normen und Werten zivilisierter europäischer Nationen orientiert. Sobald dies geschehen ist, wird der Umgang auch ein anderer werden.

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