Urban exploring: die alte Siemensbahn und Siemensstadt in Berlin Spandau

Heute war Siemensstadt das Ziel einer Urban-Exploring-Tour, zusammen mit meinem Kumpel Phillipp, Architekt, Bahnfreak und Städteplaner. Während der 20er Jahre wurde das Siemenswerk in den Bereich zwischen Charlottenburg und Spandau verlegt, weshalb neue Verkehrsverbindungen nötig waren. So wurde nahe des Bahnhofs Jungfernheide ab 1927 eine neue S-Bahn-Zweigstrecke von 4,5 km errichtet. Die Bahn war durchgebunden bis Papestraße (heute Südkreuz) und teilweise sogar Neukölln, beförderte in der Vorkriegszeit bis 27000 Fahrgäste täglich und verkehrte im 5-Minuten-Takt. Drei Stationen: Wernerwerk, Siemensstadt und Gartenfeld (am Saatwinkler Damm) existierten.

Nach dem Krieg wurde die Bahn wieder in Betrieb genommen, aber durch die Verlegung des Hauptsitzes der Firma Siemens von Berlin nach München erreichte die Bahn nie wieder die Bedeutung der Vorkriegszeit. Da zudem die S-Bahn von der (DDR)-Reichsbahn betrieben wurde, wurde sie aus politischen Gründen von der Westberliner Bevölkerung weitgehend boykottiert. Nach dem großen S-Bahnstreik 1980 wurde die Bahn stillgelegt. Mit der Eröffnung der U7 war sie auch verkehrstechnisch vorerst überflüssig geworden. Erst jüngst kam wieder Bewegung in die Sache. Mittlerweile ist eine Reaktivierung der Bahn bis Gartenfeld beschlossene Sache, ein Weiterbau bis Wasserstadt Spandau ist zumindest angedacht. Einige Neubausiedlungen werden dort in den nächsten Jahren entstehen, weshalb ein neuer Bedarf für die Bahn gegeben ist. Erste Aufräum- und Freischneidearbeiten haben begonnen. Wer die Siemensbahn in ihrem derzeitigen Zustand erleben will, sollte sich beeilen. Auf den Bildern sind die Stationen Wernerwerk (leider nicht zugänglich), Siemensstadt, ein Blick vom Damm in die Siedlung Siemensstadt, das einstige Stellwerk, impressionen von der Strecke und die Endhaltestelle Gartenfeld zu sehen.

An der ehemaligen Station Siemensstadt verließen wir den Damm und besuchten noch die Siedlung Siemensstadt, eine von sechs Großsiedlungen im Bauhausstil in Berlin, die unter UNESCO-Schutz stehen. Phillipp ist als Architekt und Fan der städtebaulichen Moderne ein grandioser Stadtführer. Während der Bereich um die Station „Siemensstadt“ später, zu Beginn der 30er Jahre errichtet wurde und mit seinen roten Dächern deutlich traditionalistischer wirkt, gilt der Bereich um die Goebelstraße als Prototyp des modernen Städtebaues: Zeilenbauweise, weg vom Blockrand, Licht – Luft – Sonne, funktionale Trennung als reines Wohngebiet. Vor allem Walter Gropius, zusammen mit Mies van der Rohe und Bruno Taut waren die wichtigsten Baumeister dieser Wohnsiedlungen. Sie alle mussten in der Nazizeit emigrieren und prägten auch von den USA den modernen Städtebau weiter. Besonders spannend ist das Gemeindehaus von einer der beiden Kirchen an der Goebelstraße und diverse Durchfahrten, die mit den Betonbrücken der alten Bahntrasse korrespondieren.

Eine Idee die hier, wie auch in der Hufeisensiedlung und anderen Siedlungen dieser Zeit gut umgesetzt wurde, führte in der Nachkriegszeit – auch bedingt durch die autogerechte Stadtplanung dieser Zeit – zu den berüchtigten Hochhausgettos (Gropiusstadt, Märkisches Viertel, Hakenfelde etc.) fernab aller Infrastrur. Entgegen der sozialen und gesellschaftlichen Ideale entstanden soziale Brennpunkte, die so nicht vorgesehen waren. Offenbar bietet die enge Kiezstruktur der Gründerzeitviertel mit kleinen Läden, Kneipen und kurzen Wegen doch mehr und nachhaltigere Möglichkeiten für urbane Lebensformen.

3 Kommentare zu „Urban exploring: die alte Siemensbahn und Siemensstadt in Berlin Spandau

  1. Klasse! Ich war 2013 dort, wir hatten allerdings ne längere Tour gemach, siehe hier: https://architectureyesterday.wordpress.com/2020/10/29/die-stillgelegte-siemensbahn-rotten-rails-abandoned-city-trains/
    Siedlung Siemensstadt war ich auch noch nicht. Bin mal gespannt, wie sich das alles rund um die alte Siemensbahn noch entwickelt (was da derzeit an Projekt hochgezogen wird). Grüße!

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